Können wir ohne Erwartungen sein?

Alle Erwartungen loslassen - geht das überhaupt?Erwartungen können wir gar vielerlei haben: an uns selbst und an andere, ans Wetter, an gesellschaftliche Entwicklungen… Werden diese enttäuscht, führt das oft zu Ärger und Frust bis hin zu bitterem Schmerz. So mancher Ratgeber und einige Denkschulen propagieren, wir sollen unsere Erwartungen einfach über Bord werfen und uns möglichst gänzlich von ihnen befreien.

 

Aber geht das „so einfach“? Geht das überhaupt? Und ist das immer sinnvoll?

Das Thema „Erwartungen“ möchte ich in diesem und einigen weiteren Beiträgen genauer beleuchten. Beginnen möchte ich mit der Frage:

Können wir überhaupt ohne Erwartungen sein?

Im Coaching und in Kursen begegnen mir immer wieder Menschen, die über das Freisein von Erwartungen gelesen und nun den hohen Anspruch haben, keine mehr zu hegen. Und es klingt ja auch einleuchtend und verführerisch:

„Lebe ganz in der Gegenwart, lass die Zukunft Zukunft sein. Erwarte nichts, lass Dich auf das ein, was kommt, dann wirst Du nicht oder weniger enttäuscht.“ 

Meine Meinung dazu ist: Ich glaube nicht, dass es möglich ist, ohne Erwartungen zu leben. Und beinhaltet nicht das hehre Ziel, keine mehr zu haben, paradoxerweise bereits wieder eine Erwartungshaltung?

Ich bin zudem davon überzeugt, dass 

  • Erwartungen nicht per se als negativ zu bewerten sind,
  • wir unrealistische oder überzogene Erwartungen verändern können, jedoch nur, wenn sie uns auch bewusst sind,
  • wir mit enttäuschten Erwartungen besser umgehen können, wenn wir sie als das akzeptieren, was sie sind, nämlich Hoffnungen, Wünsche, Vorstellungen oder Forderungen ohne Rechts- und Erfüllungsanspruch.

Hilfreich ist zudem, sich über seine Erwartungshaltungen zu den wichtigsten Themen der verschiedenen Lebensbereiche im Klaren zu sein. Dann können wir sie kritisch prüfen und entweder verändern oder annehmen und dazu stehen, statt uns zu verurteilen oder anderen die Schuld für unsere Enttäuschung zu geben. 

Doch lassen Sie uns zunächst einmal anschauen, was Erwartungen sind und wie wir zu ihnen kommen. 

Wo kommen Erwartungen her?

Erwartungen sind zukunftsgerichtete Annahmen entweder über das, was wir selbst oder andere tun oder lassen werden oder aber was sein sollte. Viele unserer Erwartungen basieren also keineswegs auf Versprechungen oder klaren Zusagen von anderen. Viel öfter entspringen sie inneren Überzeugungen, die wir teilweise auch nicht auf dem Radar haben – und auch nicht haben können, denn so reflektiert, bewusst und achtsam kann kein Mensch sein. 

Erwartungen entstehen zum Beispiel, 

  • weil etwas üblicherweise in der Familie, der Gesellschaft, der Firma etc. so gemacht wird, 
  • aufgrund gängiger Rollenverteilungen und -verhalten, 
  • aus Gewohnheiten, 
  • aufgrund eigener  Erfahrungen und dem daraus folgenden, oft unbewussten Rückschluss, dass andere es dann auch so machen müssten,
  • unserer vorausschauenden Vorstellungskraft gepaart mit Fantasie. 

Viele unserer Erwartungen werden uns erst dann bewusst, wenn etwas anders läuft, als wir es uns insgeheim gedacht oder erhofft haben. Wir haben auf fast überall eine bewusste oder unbewusste Vorstellung davon, wie etwas sein sollte oder wie wir es gern hätten. Zu glauben, wir könnten Erwartungen jemals gänzlich vermeiden, halte ich daher für eine Illusion. 

Im nächsten Beitrag geht es darum, wie Sie sich Ihrer Erwartungen bewusster werden können. Denn nur das, was uns bewusst ist, können wir auch beeinflussen oder ändern. Schauen Sie also wieder vorbei. 

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