Kürzlich war ich mit einer Freundin in Marrakesch. Im Reisebüro hatten wir wunderschöne Fotos des familiengeführten Gasthauses gesehen und die Tripadvisor-Berichte waren voll des Lobes über den zuvorkommenden Service und die Freundlichkeit.
Doch Pustekuchen. Als wir ankamen, war in der Riad für die erste Nacht kein Zimmer für uns frei. Familiengeführt war das Haus auch nicht und den freundlichen und zuvorkommenden Service hatten wir uns etwas anderes vorgestellt.
Wir waren erst mal enttäuscht. Unsere Erwartungen wurden nicht erfüllt. – Doch was tun? Wir wollten uns schließlich nicht den Urlaub verderben lassen.
Durchatmen und annehmen, was ist
Dass wir für die erste Nacht kein Zimmer hatten, haben wir nicht einfach hingenommen. Wir hatten verbindlich gebucht und im voraus gezahlt, konnten also durchaus einen Anspruch erheben und die Leistung erwarten, auch wenn das dort zunächst nicht so gesehen wurde. Doch auch hier hilft alle Aufregung nix. Besser ist es durchzuatmen, um Abstand zu seinen Emotionen zu gewinnen und um dann damit umzugehen, was da nun eben ist.
Durchatmen und die Situation annehmen sind auch die ersten sinnvollen Schritte auf jedwede enttäuschte Erwartung. Nur so können wir innehalten und darüber nachdenken, was nun eine sinnvolle Reaktion ist, statt durch die Enttäuschung getrickert vorschnell und unüberlegt zu reagieren.
Die Erwartung loslassen
Wie im ersten Beitrag zum Thema schon bemerkt, sind Erwartungen jedoch oft unsere Vorstellungen und Wünsche von etwas, auf deren Erfüllung wir keinen Anspruch haben. Dass sich beispielsweise in unserem Fall die Angestellten nicht so zuvorkommend und freundlich verhalten hatten, wie es in einigen Reiserezensionen beschrieben war, konnten wir nicht einfordern. Hier kam es auf unsere weitere Einstellung dazu an. Wie so oft im Leben können wir auch bei enttäuschten Erwartungen nur uns selbst beeinflussen und verändern, nicht die anderen.
Uns hat geholfen, unser Anspruchsdenken herunterzuschrauben und das ganze mit Humor zu sehen. Wir haben beispielsweise auch die Erwartung losgelassen, dass wir morgens beim Frühstück alsbald nach unserem Erscheinen verköstigt wurden. Statt uns darüber zu ärgern, dass es bis zu 20 Minuten dauerte, bis uns jemand den Tee servierte, haben wir eben die Zeit genutzt, um im Reiseführer zu lesen. Zudem haben wir lustige Anekdoten zusammengesponnen, was wohl alles Ursachen für die langen Servierzeiten sein könnten.
Dies hilft ebenfalls beim gelasseneren Umgang mit enttäuschten Erwartungen:
- Erlauben Sie sich im Moment der Enttäuschung von Ihren Vorstellungen abzulassen. Es wird einfacher, wenn wir uns darin üben, mit dem zu leben, was auftaucht, statt verbissen auf dem zu beharren, was wir für richtig definiert haben.
- Führen Sie sich noch einmal bewusst vor Augen, dass Ihre Erwartungen Ihre eigene Sicht auf die Dinge sind, nicht aber die allgemeingültige Wahrheit. Das distanziert Sie von Ihrem unbedingten Erfüllungsanspruch und weitet Ihr Blickfeld für die Motive der anderen.
- Wägen Sie bewusst ab, welche Erwartungen lebenswichtig für Sie sind und welche Sie loslassen können, da sie sich nicht lohnen. Bei für Sie wirklich wichtigen Erwartungen hilft, wie im zweiten Beitrag geschrieben, das offene Gespräch, um zu einer möglichst für beide Seiten guten Lösung zu kommen.
- Apropos Lösung: Denken Sie generell lösungsorientiert, statt im Problem verhaftet zu bleiben. Reiten Sie nicht weiter auf der enttäuschten Erwartung rum, sondern suchen Sie nach geeigneten Wegen des weiteren Umgangs damit. Sie können beispielsweise sinnvolle Kompromisse eingehen. Oft hilft auch schon, sich in den anderen hineinzuversetzen, um zu verstehen, weshalb jemand Ihre Erwartung nicht erfüllen kann oder will.
Wichtig: Stellen Sie beim Üben im gelasseneren Umgang mit enttäuschten Erwartungen oder der inneren Haltung, möglichst erwartungsfrei an Dinge heranzugehen, nicht zu hohe Erwartungen an sich selbst! Sie versuchen hier ein Verhalten zu ändern, dass Sie jahrzehntelang ausgeführt haben.
Wie hier im Absatz „Wo kommen Erwartungen her?“ beschrieben, stecken hinter unseren Erwartungen alte Glaubenssätze mit entsprechenden Verhaltensmustern, die wir nicht einfach von heute auf morgen ablegen können. Um ein neues Denken und Verhalten zu verinnerlichen, braucht es den unbedingten Wunsch dazu, Wiederholung und Zeit.
Seien Sie also nachsichtig mit sich. Bleiben Sie wach und achtsam. Erinnern Sie sich immer wieder an Ihr Vorhaben, verurteilen Sie sich bei Rückschlagen nicht und bleiben Sie geduldig dran. Dann stellt sich die gewünschte Veränderung auch ein.
Nicht zu unterschätzen: Der gelassenere Umgang mit enttäuschten Erwartungen hat zudem eine positive Kehrseite. Auch die Erwartungen, die andere an uns haben, sind lediglich Vorstellungen und Wünsche ohne Erfüllungsanspruch. Wir können selbst entscheiden, ob und wie wir sie erfüllen. Diese Sicht auf die Dinge befreit und kann ungemein den Druck vermindern.
In Marrakesch waren wir immer wieder gefordert, unsere Erwartungen über Bord zu werfen. Andererseits wurden wir auch immer wieder unerwartet sehr positiv überrascht. So war die Reise nicht nur überaus interessant und voller wunderbarer Eindrücke, sondern zugleich auch eine gute Schule in Sachen in Nehmen-wie-es-kommt, Toleranz und Gelassenheit üben.